Leseprobe ANBANDELT

Gartenkrimi von Martina Parker

 

„Es ist nie zu spät, das zu sein, was du hättest sein können.“ – George Eliot

 

Immer für dich

 

Prolog

 

Er schaffte es einfach nicht, dieses verdammte Schlüsselloch zu treffen. Er schwankte, kniff die Augen zusammen, versuchte es noch einmal. Wieder und wieder. Keine Chance. Dann fiel ihm ein, dass man Autos nicht mehr so aufsperrte. Schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Ein Auto sperrte man auf, indem man am Schlüssel herumdrückte. Er drückte. Nichts passierte. War das überhaupt sein Autoschlüssel? Oder zerkratzte er gerade mit seinem Haustorschlüssel sein Auto? Wenn das überhaupt sein Auto war. Er war sich nicht mehr sicher. Er hatte in der Bar vom Dunkel Tom für vier Spritzer und fünf Gin Tonic bezahlt. Getrunken hatte er aber sicher das Doppelte. Der Wirt hatte jede zweite Runde ausgegeben. Der war auch schon ganz schön illuminiert gewesen, der Tom. Obwohl der ja berufsbedingt viel vertrug. Mehr als er?

Eine Welle der Übelkeit überkam ihn. Kurz wurde ihm schwindlig. Der Schlüssel glitt aus seiner Hand. Er blickte zu Boden, konnte aber in der Dunkelheit nichts erkennen. Wo war der depperte Schlüssel? Er nahm einen tiefen Atemzug von der kühlen Nachtluft. Dann ließ er sich auf die Knie fallen und tastete mit den Händen durch den feuchten Schotter. Nichts. Oder doch? Da fühlte sich was metallisch an. Er hob den Gegenstand auf und fixierte ihn. Mittlerweile sah er doppelt. Er hielt den Gegenstand mit der rechten ausgestreckten Hand von sich weg und hielt sich mit der linken das Auge zu. Ja, so war es besser. Es war eine Halskette mit einem Anhänger. Er steckte sie ein und suchte weiter nach seinem Schlüssel. Ohne Erfolg.

Er schwankte und hielt sich am Rückspiegel des Autos fest, um sein Gleichgewicht zu behalten. Er würde einfach in die Bar zurückgehen und sich ein Taxi rufen lassen. Genau! Warum war ihm die Idee nicht gleich gekommen? Im Zickzack taumelte er zur Eingangstür der Gaststätte. Aber als er diese erreichte, bemerkte er zu seiner Enttäuschung, dass sie bereits verschlossen war.

„Hallo? Hallo? Tom? Hörst mich Tom, mach auf! AUFMACHEN!!!“ Er pumperte grob gegen die Tür, aber nichts passierte. Sperrstunde. Verdammt. Er bedauerte, kein Telefon bei sich zu haben. Dann hätte er sich selbst ein Taxi rufen können. Aber leider. Das lag daheim. Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu einem anderen Wirt zu taumeln. Buschenschänke gab es ja am Csaterberg genug. Und er wusste auch schon, wo er sein Glück als Erstes versuchen würde.

Zum Franz auf den Hochcsater würde er gehen. Der Franz hatte sicher noch offen. Die Nacht war ja noch jung. Und außerdem: Er selbst musste nicht nach Hause. Es gab niemanden, der auf ihn wartete. Er sah zum Himmel. Der Mond war hinter Wolken versteckt. Irgendwo schrie ein Käuzchen. Die Kälte der Märznacht spürte er in seinem Zustand kaum. Er überlegte. Am schnellsten käme er zum Franz, wenn er da rechts durch den Weingarten ging. Er stolperte los. Langsam gewöhnten sich seine Augen an die Dunkelheit. Es war gar nicht so schwer. Einen Schritt vor den anderen setzen. Immer an den Weinstöcken entlang. Gut, dass es noch so früh im Jahr war, da stand das Unkraut zwischen den Zeilen noch nicht so hoch. Ein paar Mal stolperte er dennoch, musste sich an dem Draht, an dem die Weinstöcke hochgezogen waren, festklammern. Aber er war frohen Mutes, er hatte ein Ziel vor Augen. Sein Durst war zurückgekehrt. Hunger hatte er auch. Vielleicht hatte der Franz noch Schweinsbraten mit scharfem, paprizierten Sauerkraut. Für diese Speise war er berühmt. Er querte einen Feldweg, betrat einen anderen Weingarten. Jetzt ging es auch plötzlich bergauf statt wie erwartet bergab. Er stutzte, kehrte um. Seine Instinkte sagten ihm, dass er sich lieber links halten sollte. Nicht dass er noch aus Versehen in Ungarn landen würde. Vielleicht hätte er doch lieber auf dem Feldweg bleiben sollen.

Er bog nach links ab und kam zu einer Streuobstwiese. Mittlerweile hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Zwei Rehe knabberten an der Rinde eines jungen Apfelbaums. Sie ergriffen die Flucht, als sie ihn sahen. In der Ferne sah er Licht. Ein Lächeln ging über ein Gesicht. Wer sagt es denn? Da hinten oben beim Waldrand – da war sein Ziel. Da war das Haus vom Franz. Er wankte weiter. Er konnte es kaum erwarten, endlich in der Gaststube zu sitzen. Das Gras wurde höher. Das Gelände steiler. Das Gehen in der Dunkelheit mühsamer. Er musste kurz Pause machen. Schnaufend stützte er seine Hände auf die Oberschenkel. Hier war schon lange nicht mehr gemäht worden. Er blieb mit dem rechten Fuß an einer Brombeerranke hängen, versuchte sich loszureißen und stolperte. Den Erdhügel, der von Grasbüschel überwuchert war, hatte er in der Dunkelheit nicht gesehen. Er schlug der Länge nach auf. Das Gesicht voran. Es knackte. War das ein Zweig gewesen, oder seine Nase? Er schmeckte Blut und Erde. In seinem Zustand hatten die Reflexe nicht mehr ausgereicht, um das Gesicht beim Fallen zu schützen.

Erst fluchte er, aber dann dachte er, dass er sich ja ganz kurz ausruhen könnte. Also nur eine Minute oder so, bevor er dann weiter diesen ewig langen Berg zum Franz hinaufging. Und noch während er das dachte, fielen ihm die Augen zu.

Er wachte erst wieder auf, als ihn Stimmen weckten. Er hob den Kopf. Bemühte sich, die Orientierung wieder zu finden. Wo war das Licht vom Franz, das ihm wie ein Stern den Weg weisen würde? Und was waren das für Stimmen und wo kamen sie her?

Er drehte den Kopf nach rechts und dann sah er sie. Die Hexen. Sie standen da, keine 50 Meter von ihm entfernt vor einem kleinen Weiher. Er erstarrte, kalter Schweiß brach ihm aus. Seine Mutter hatte ihn immer vor dem Nachtvolk gewarnt. Jeder im Südburgenland kannte die Sage von den Woinheksn, den Weinhexen, die einsamen Wanderern im Wald oder auf einem bestimmten Hügel, oft auch an einer großen Lacke auflauern. Einmal, so erzählte man sich, sollen sich drei teuflische Weibsbilder mit einem Bauernbursch einen bösen Spaß erlaubt haben. In einem fort musste der für sie tanzen und springen. Der Schweiß rann ihm herunter — sogar Csardas musste er tanzen. Weil er so schwitzte, wurde er in den Weiher gezerrt und gewaschen. Dann fand er sich neu gekleidet auf der Straße, in den Säcken hatte er Krapfen und ein Glas Cognac. Er aß und trank davon. Aber daheim angekommen, entdeckt er, dass die Krapfen eigentlich Rossknödel waren ‒ und es packte ihn ein furchtbares Grausen.

Der Mann wollte nicht, dass es ihm ebenso geschah. Er duckte sich tief ins hohe welke Gras vom Vorjahr. Vor seinen Augen tauchte plötzlich eine Kröte auf, und da wusste er ganz sicher, dass es Hexen waren, die da ihr Unwesen trieben. Denn Hexen stehlen Milch und rühren Butter, und immer wenn sie das tun, kommen die Auken[1] und speien hinein.

Die drei Hexen, die da in ihrer silbernen Robe vor ihm neben dem Weiher standen, rührten aber keine Butter. Sie hatte kein Butterfass dabei, sondern stritten und kämpften miteinander. Und dann griff eine zu einem Blatt. Und weil sie eine Hexe war, verwandelte sich das Blatt in einen Dolch. Und den rammte sie einer anderen Hexe in den Hals. Die getroffene Hexe schrie, der Schrei wurde zu einem Gurgeln. Dann lag sie reglos am Boden. Sie beugte sich über ihr Opfer und murmelten einen Zauberspruch.

Der Mann, der das alles mitansehen musste, nutzte die Gelegenheit, um zu fliehen. Er rappelte sich hoch und begann zu rennen, so schnell er konnte. Immer wieder sah er sich um, aus Angst, dass die Hexen ihm folgten. Zu Boden oder auch in der Luft. Denn jeder weiß, dass die Weinhexen besonders schnell fliegen können. Fast hätte er es auch geschafft, den Hexen zu entkommen. Aber nur fast. Denn am Ende des Grundstückes war dieser magische Hexenstrauch. Der hielt ihn auf, griff nach ihm und ließ ihn nicht mehr los.


[1] Kröten

Martina ParkerKommentieren