Textfunken 2020

Yeahhhh. Dank Euren zahlreichen Votes habe ich mit diesem “spin off“ von “Zuagroast” den Publikumpreis bei Textfunken, dem Literaturwettbewerb des ORF Bgld. 2020 gewonnen. Danke, ich liebe Euch!!! Hier noch mal der Siegertext zum Nachlesen.

Böse Männer brennen gut

 

Vera war froh, als sie von der unebenen Schotterstraße auf den roten Teppich treten konnte. Sie hatte schon ewig keine hohen Schuhe mehr getragen und fühlte sich entsprechend wacklig auf den Beinen. Sie versuchte, ein Bein vor das andere zu setzen, wie die angehenden Topmodels im Fernsehen. „Nicht staksen, nicht zu viel Hüftschwung, locker laufen, Mädchen, laufen.“ Sie konnte die hohe, dominante Stimme der deutschen Modeldompteuse richtig hören. Wer sagt, dass Fernsehen nicht bildet?

 

„Würden Sie bitte hier zu unserer Fotowand kommen?“ Der Fotograf winkte sie zur Seite. Hier war ein Hintergrund mit dem Logo des Parkhotels aufgebaut worden. Wie in Hollywood. Da fehlt nur mehr Orlando Bloom. Orlando und sie würden ein schönes Bild abgeben. Aber ihre Begleitung war heute ihre Mutter Hilda. Das hatte man davon, wenn man Mitte 40 und Single war und es keinen Orlando weit und breit gab.

Hilda hatte sofort darauf bestanden mitzukommen, als sie erfuhr, dass das Parkhotel anlässlich der Eröffnung der neuen Saunalandschaft zum Festakt lud. Vera war als Redakteurin des Burgenländischen Boten auf der Gästeliste.

 

„Hierher schauen bitte.“ Hilda setzte ihr Fotolächeln auf. Ihre Zahnkronen blitzten strahlend weiß. Sie trug ihr bestes Dirndl und war für den Event extra beim Friseur gewesen. Dort hatte sie sich längere Stirnfransen schneiden lassen, wie die Uschi Glas. „Das verdeckt die Falten“, hatte sie zu Vera gesagt. „Das könntest du dir auch machen lassen, du hast auch schon Stirnfalten.“ Vera reckte das Kinn nach vorne, um ihren Hals zu straffen. Auch das hatte sie bei den Topmodels im Fernsehen gelernt. Aber da hatte der Fotograf schon abgedrückt und sich abgewandt, denn ein anderer Gast, der ihm wesentlich interessanter erschien, hatte den roten Teppich betreten. Vera und Hilda waren plötzlich Luft für ihn. Denn der Mann, der soeben im hellen silbergrauen Anzug den roten Teppich betrat, war ein Star. Gernot Pechler. Der  Gernot Pechler. Der Fußballkönig, der in den Nullerjahren der Held der Nation gewesen war und jetzt als beliebter TV-Moderator im Privatfernsehen die Nation unterhielt. Er präsentierte Erfolgsformate wie Schlag den Schlagerstar, Eine Million für deinen Mann oder Weg mit der Alten, her mit der Neuen. Er war ein Quotenwunder. Zumindest wenn man auf diese Art von Reality TV stand.

 

„Ich kann den Typen nicht ausstehen“, sagte Nadja, die sich unbemerkt neben Hilda und Vera gestellt hatte. Sie zog eine Grimasse. „Der Typ ist so ein selbstverliebter Lackaffe.“

Nadja war Redakteurin beim ORF Burgenland und eine Freundin von Vera.

„Können Sie bitte Platz machen?“ Der Fotograf scheuchte Vera, Nadja und Hilda zur Seite.

Jetzt war die Bühne frei für Gernot Pechler. Der warf sich auch sofort in Pose. Fesch war er ja, der Pechler. Ein attraktiver Mittvierziger, mit athletischer Figur und einem jugendlich glatten Gesicht.“

Zu glatt, dachte Vera, Und zu gebräunt. „Ich tippe auf Botox und Solarium“, flüsterte sie Nadja zu. „Ich wette, dass der bei uns am Medientisch sitzt“, sagte Nadja düster.

„Wer sitzt bei uns am Medientisch?“, fragte Hilda entzückt, „der Gernot Pechler? Die Frau Fuith aus dem Bauernladen fällt tot um, wenn sie das hört. Obwohl, die glaubt mir das vielleicht gar nicht, dass ich und der Pechler … Ich brauch ein Foto mit dem.“  Und bevor Vera sie aufhalten konnte, hüpfte sie schon zurück vor die Fotoleinwand und stellte sich neben den verdutzten Promi, der professionell verbindlich lächelte, während der Fotograf zu ihrem großen Glück einfach weiter fotografierte.

 

Vier Sekunden einatmen, sechs Sekunden die Luft anhalten, acht Sekunden ausatmen. Claudia Ivansitz die Restaurantleiterin des Parkhotels versuchte, ihre Nerven zu beruhigen. Aber die Atemübung hatte genau den gegenteiligen Effekt. Sie wurde immer nervöser. Bei dem Teil mit dem Luftanhalten glaubte sie, ihre Brust würde zerspringen, und das Zeitintervall für das Ausatmen kam ihr ewig lange vor. Zu lange. Da ersticke ich ja, dachte sie panisch. Von wegen acht Sekunden. Sie schnappte schon nach fünf gierig nach Luft.

„Ach, Scheiß drauf, ich geh eine rauchen!“ Sie ging durch die Küche nach draußen, setzte sich auf die Bierkiste neben den Mistkübeln, die das Personal extra für diesen Zweck hier deponiert hatte, und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Hand zitterte, als sie das Feuerzeug bediente.

Gierig zog sie am Filter, inhalierte den Rauch und spürte, wie ihr das Nikotin ins Blut schoss. Heute war es also soweit, heute würde sie ihn wiedersehen. Nach all dieser Zeit. Ob er sie wiedererkennen würde? Wahrscheinlich nicht. Sie waren damals so jung gewesen. Das war alles ewig lang her, schon kaum mehr wahr. Aber Claudia hatte keine Sekunde davon vergessen. Wie hätte sie auch vergessen können.

„Claudia, kommst du, das Service will wissen, ob sie schon mit dem Flying Buffet anfangen sollen …“ Der Souschef steckte seinen Kopf durch die Hintertür.

Seufzend drückte Claudia ihre Zigarette am Boden aus und stand auf. Sie strich ihr Kostüm glatt. „Ich komm ja schon.“

 

Sie wusch sich die Hände am Handwaschbecken neben der Spüle, trocknete sie ab und schnupperte an ihren Fingern, um zu überprüfen, ob diese nur ja nicht mehr nach Nikotin rochen. Dann ging sie zu der Anrichte, auf der die Tabletts mit den Häppchen standen. Minisandwiches mit Leberaufstrich von der südburgenländischen Weidegans, Terrine vom Waller aus dem Neusiedler See, winzige Krautstrudel und Grammelpogatscherl. Die Häppchen waren so klein, dass man damit eine Puppenstube bestücken hätte können. Aber sie sollten den Appetit der Gäste ja nur anregen und nicht stillen. Das eigentliche Menü würde nach der Begrüßung und den Reden serviert werden. „Das kann raus“, sagte sie zum wartenden Servierpersonal.

 

Der Festsaal des Hotels hatte sich bereits gefüllt. Die Gäste standen in Grüppchen beisammen und nippten an Uhudlerfrizzante und dem Cocktail des Hauses, der aus naturtrübem Apfelmost aus der Region und burgenländischem Gin bestand. 

Claudia zuckte kurz zusammen, als plötzlich ein Knacksen im Lautsprecher zu hören war und Gernot Pechler auf die Bühne trat, um die anwesende Lokalprominenz zu begrüßen. Als er zu sprechen begann, wurde ihr plötzlich übel. Sie griff zum Brandy, mit dem eigentlich die Nusspalatschinken flambiert wurden, schenkte vier Fingerbreit von dem hochprozentigen Getränk in ein Wasserglas und kippte den Inhalt hinunter. Der Souschef, der das bemerkt hatte, hob fragend die Augenbrauen. Claudia ignorierte ihn. Dass man ausgerechnet den Pechler als Moderator engagiert hatte. Das Leben nahm manchmal wirklich eigenartige Wendungen.

 

 

„Das Geschwafel von den Politikern war fad, nur unnötiges Blabla, aber Sie haben das super gemacht“, sagte Hilda zu Gernot Pechler. Sie saß am Medientisch neben dem TV-Idol und war nach zwei Gläschen Uhudlerfrizzante noch direkter als sonst.

Gernot Pechler lächelte geschmeichelt. Er hatte keine Ahnung, wer diese aufdringliche Person war, aber wenn sie am Medientisch saß, musste sie wichtig sein. Wahrscheinlich war das die Seniorchefin. Seniorchefinnen in Hotels hatten meist solche Festtags-Dirndlkleider an. Ihre Tochter sah auch nicht schlecht aus. Dunkle lange Haare, aparte Figur. 

Hilda bemerkte Gernots Blick. „Können Sie die Vera nicht in Ihre Sendung einladen?“, fragte sie lauernd. „In die, wo Männer ihre alten Frauen gegen eine neue eintauschen. Die Vera hat immer so ein Pech mit Männern.“

„Mama!“ Vera lief vor Scham und Ärger hochrot an.

„Wenn es doch war ist“, sagte Hilda. „Der brasilianische Modefotograf war zum Kren reiben, und deine Jugendliebe, der Ginproduzent vom Eisenberg, ist auch keinen Deut besser. Mit dem brauchst dir nicht wieder was anfangen. Ein aufgewärmter Kelch schmeckt nicht. Hab ich nicht recht?“

Sie schaute triumphierend in die Runde.

„Vielleicht solltest du in die Sendung“, konterte Vera, „du bist auch Single.“

„Ich bin nicht Single, ich bin Witwe, mein Kind, das ist ein Riesenunterschied. In meinem Alter ist ein neuer Partner kein Thema mehr.“

„Aber ich bitte Sie, Sie sind doch nicht alt, ich habe Sie beide für Schwestern gehalten“, log Gernot. „Sie müssen doch Dutzende Verehrer haben.“

„Natürlich hab ich die“, sagte Hilda stolz. „Ich werde ständig im Kurpark angesprochen. Aber in meinem Alter hol ich mir keinen Mann mehr nach Hause, weil die Männer über 70 suchen alle nur eine Pflegerin. Mehr als ein Kaffee ist da bei mir nicht drin. Ich sag dann immer zu den Herren, ambulant nehm ich Sie, aber stationär auf keinen Fall.“

Gernot Pechler lachte schallend.

 

Vera verdrehte innerlich die Augen. „Sie haben eine lustige Mutter“, sagte Gernot Pechler und zwinkerte ihr verschwörerisch zu. Wenn die Mutter vermutlich die Seniorchefin war, dann hatte die Junge sicher auch irgendwas mit dem Hotel zu tun. Vielleicht war das die Schwester oder die Schwägerin vom Besitzer. Er war besser nett zu ihr. Immerhin hatte er für das kurze Moderieren eine stattliche Summe eingestreift. Dafür konnte man schon ein bisschen nett sein. „Darf ich Ihnen noch Wein nachschenken?“ Er beugte sich zu Vera und streifte dabei leicht ihren Arm. Vera zuckte nicht zurück. Ein gutes Zeichen.

 

 

Claudia führte die Faust zum Mund und biss sich auf die Knöchel, als sie sah, wie der Pechler diese Journalistin umgarnte. Sie nahm eine Flasche Rotwein und ging zum Medientisch. „Darf ich Ihnen einschenken? Wir servieren gleich die Hauptspeise. Steaks vom Zickentaler Moorochsen. Ich empfehle dazu den Ried Reihburg vom Weingut Schiefer, ein ganz besonderer Blaufränkischer vom Eisenberg.“

„Gerne, nur zu“, sagte der Pechler. Er hatte sie nicht einmal angesehen. Claudia hatte schon oft die Erfahrung gemacht, dass man als Kellnerin gar nicht richtig als Mensch wahrgenommen wurde.

 

Sie schenkte den Damen am Tisch ein und füllte dann schwungvoll das Glas, das er ihr entgegenhielt. Schau mich an, dachte sie stumm. Aber er sah nur zu Vera. Und plötzlich brannten bei Claudia die Sicherungen durch. Sie schwenkte die Flasche und schüttete den restlichen Inhalt in den Schoß des Moderators.

Gernot Pechler sprang auf, als hätte ihn eine Tarantel gestochen, und fing an, mit der Serviette, die zerknüllt am Tisch gelegen war, über seine helle Hose zu wischen.

„Nicht!“, rief Hilda. „Sie reiben den Wein nur stärker ins Gewebe. Haben wir Salz? Wir brauchen Salz.“ Sie griff zur Salzmühle und fing an, Salz über den Schritt des TV Moderators zu mahlen.

 

„Ach, das tut mir so leid“, sagte Claudia übertrieben schuldbewusst, „ich habe keine Ahnung, wie das passieren konnte.“

„Oh Gott, das sieht aus, als hätte er die Regel bekommen“, flüsterte Nadja Vera aufgeregt zu. Sie klang ein kleines bisschen schadenfroh.

„Bitte kommen Sie mit nach hinten, wir bringen das in Ordnung“, sagte Claudia.

 

Gernot war stocksauer, ließ sich aber nichts anmerken. Wie ein begossener Pudel ging er, so dicht wie möglich, hinter Claudia her, damit die Gäste seinen blutroten Schritt nicht sahen.

Claudia führte ihn zu dem kleinen Aufenthaltsraum neben der Rezeption, in dem sich manchmal die Rezeptionisten ausruhten oder in dem sich Gäste bei einem Late Check Out vor der Abreise umziehen und frisch machen konnten. Heute war das Zimmer leer, dafür hatte sie gesorgt. Nur zwei Rollcontainer mit frisch gewaschenen Spa-Badetüchern standen da. Die waren für die Rezeption für die Ausgabe an Spa-Besucher gedacht.

 

„Am besten, Sie ziehen die Hose aus und einen Bademantel an, dann kann ich versuchen, den Fleck auszuwaschen und die Hose anschließend trockenzuföhnen.“

Gernot ging ins Bad und tat, wie geheißen. Als Star mit einer eigenen Garderobiere war er es gewöhnt, sich vor dem Dienstpersonal umzuziehen, und fand die Situation weniger seltsam, als es Claudia erwartet hatte.

Er setzte sich auf die Couch. Die Badezimmertür war offen. 

Er beobachtete, wie die hübsche Blondine über das Waschbecken gebeugt dastand und seine Hose mit Seife und einer Mininagelbürste, die sie aus ihrer Jackentasche gezaubert hatte, bearbeitete. Irgendwo hatte er diese Frau schon mal gesehen.

„Haben wir schon einmal miteinander zu tun gehabt? Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“

 

Claudia blickte auf und sah ihm direkt in die Augen. Große blaue Augen, aber nicht klar wie ein Bergsee, so wie die Augen, die in der Schlagersendung beschrieben wurden, sondern ein wolkiges, undurchsichtiges Blau. Klar, er kannte sie, er wusste nur nicht, wo er sie hintun sollte. Er dachte angestrengt nach. Aber es fiel ihm einfach nicht ein. Es war ein ähnlich lästiges Gefühl, wie wenn man ein Wort auf der Zunge hatte, aber es beim besten Willen nicht über die Lippen bekommt.

 

Claudia drehte das Wasser ab, legte die Hose zur Seite und kam auf ihn zu. „Klar kennen wir uns, aber wie es scheint, hast du mich vergessen.“

Sie lachte. Das Lachen klang ein bisschen gekünstelt.

Gernot Pechler stutzte. Dass diese Frau ihn plötzlich so vertraut duzte, verwirrte ihn. Sie kam noch näher. Er wich einen Schritt zurück und stieß mit den Kniekehlen rücklings gegen die Bettkante. Seine Beine gaben nach und er plumpste aufs Bett. Claudia beugte sich über ihn. Ein Schauer durchfuhr Gernot Pechler. Er verspürte Überraschung, Angst, aber auch Erregung. Sie fuhr mit dem Daumen über seine Unterlippe. Der Daumen roch nach Seife. „Ich denke, ich muss deine Erinnerung später ein bisschen auffrischen.“ Sie küsste ihn unvermutet auf den Mund. Ohne Zunge, aber ihr Mund war leicht geöffnet, und ihre Lippen waren feucht.

Gernots Bademantel war aufgeklafft, er spürte, dass sein Schwanz unter der vom Wein rosa gefärbten feuchten Unterhose hart wurde. Er griff nach ihrem Handgelenk. „Und warum später und nicht jetzt?“

„Bist du verrückt, die Rezeptionistin hat uns hereingehen gesehen. Was glaubst du?“

Claudia schüttelte seine Hand ab. „Ich sag dir was, um 22 Uhr ist das Feuerwerk. Da gehen alle raus, sich das anschauen. Auch die Leute von der Rezeption. Da treffen wir uns wieder hier. Hier ist die Schlüsselkarte. Aber jetzt sei ein braver Bub und reiß dich zusammen.“

Gernot grinste. „Vorfreude ist die schönste Freude.“

„Dann freu dich schon mal“, sagte Claudia und verließ das Zimmer.

 

Ein paar Minuten später ging Gernot beschwingt zum Tisch zurück. Er hatte noch immer keine Ahnung, woher er diese Claudia kannte, aber eigentlich war es ihm auch egal. Wahrscheinlich hatten sie mal einen One-Night-Stand gehabt. Mein Gott, er war immer schon ein Star gewesen, früher als Fußballer, dann als Moderator, er hatte Hunderte Weiber gehabt, ein schlechtes Gewissen deswegen nie. Das waren Groupies. Die waren auch nur auf das eine aus. Die wussten ja, auf was sie sich einließen.

 

„Sie waren aber lange weg“, sagte Hilda zu Gernot. „Sie haben was verpasst, das Steak war köstlich.“

„Ich lasse Ihnen gleich Ihre Hauptspeise bringen“, sagte Claudia, die sich dem Tisch erneut genähert hatte, „und hier ist ein frisches Glas Reihburg, speziell für Sie.“

Diesmal blickte Gernot sie dankbar und begehrlich an, als sie ihm das Getränk überreichte. Geht doch, dachte sie.

Gernot schmeckte der Wein so gut, dass er sich nach der Hauptspeise noch ein Glas von Claudia bringen ließ. Diese südburgenländischen Blaufränkischen waren doch ganz besondere Tropfen. Allerdings waren sie auch ganz schön schwer. Er bemerkte, dass ihm der Alkohol rasend schnell zu Kopf stieg. Seine Zunge wurde schwer, und es war immer schwieriger, auf Hildas Scherze angemessen zu reagieren. Er schenkte sich ein großes Glas Wasser ein. Er musste nüchtern bleiben, schließlich hatte er in einer halben Stunde ein Date mit einer willigen Blondine. So, wie die rangegangen war, stand ihm einiges bevor. Er freute sich darauf. Seit seine Frau das zweite Kind bekommen hatte, war mir der sexuell gar nichts mehr anzufangen.

 

Endlich gab der Hoteldirektor das Zeichen, dass alle raus auf die Terrasse gehen sollten, das Feuerwerk würde gleich beginnen.  „Kommen Sie!“ Hilda hielt ihrem Tischherrn den Ellenbogen hin in der Erwartung, er würde sie hinausführen. Das hatte sie schon den ganzen Abend geplant. Wieder etwas, was sie der Frau Fuith vom Bauernlanden erzählen konnte.

Aber zu ihrer großen Enttäuschung gab ihr der berühmte Moderator einen Korb. „Ich muss mal für kleine Königstiger“, lallte er. „Ich komme dann nach.“

 

„Bist du deppert, der ist blunzenfett“, sagte Nadja zu Vera, als Gernot schwankend Richtung Foyer ging. „Oder er nimmt Drogen“, meinte Hilda fachmännisch. „Es gibt viele österreichische Promis, die sich Haschisch spritzen.“

„Haschisch spritzt man nicht, das raucht man“, berichtigte Vera.

„Na, du kennst dich ja gut aus“, sagte Hilda spitz.

„Wenn er kifft, dann hat er danach sicher Lust auf Süßes“, blödelte Nadja. „Spätestens beim Dessert nach dem Feuerwerk sehen wir ihn wieder.“

Aber sie sollte sich täuschen. Denn Gernot tauchte weder zum Feuerwerk noch danach wieder auf. „Vielleicht war er einfach nur bis 22 Uhr bezahlt und wollte nicht länger bleiben“, mutmaßte Vera. „Er ist ja nicht zum Spaß hier.“ Damit sollte sie allerdings recht behalten.

 

Die Feuerwehrsirene heulte durch die Nacht. Wilhelm Neubauer von der freiwilligen Ortsfeuerwehr Bad Tatzmannsdorf griff schlaftrunken zu seinem Handy. Die Brandmeldezentrale hatte bereits eine SMS mit Infos, den Einsatzort betreffend, geschickt.

„Was ist los?“, fragte seine Frau schlaftrunken.

„Im Parkhotel brennt es“, sagte er zu seiner Frau.

„Wahrscheinlich wieder ein Saunabrand, für brennende Adventkränze ist es noch zu früh,“ murmelte sie schlaftrunken. Als Frau eines Feuerwehmannes gehörten Brände zu ihrem Alltag.

Keine zehn Minuten später saß Wilhelm mit seinen Kollegen im Feuerwehrauto auf dem Weg zum Parkhotel. Die 30 Stundenkilometer-Beschränkung im Kurort ignorierten sie.

Als Erstes begutachtete Wilhelm die Mappe über die Brandschutzanlage. Der erste Brandmelder, der losgegangen war, befand sich im Erdgeschoss in einem kleinen fensterlosen Zimmer neben der Rezeption. Das überraschte ihn. Zeitverzögert waren auch Brandmelder in den anderen Stockwerken losgegangen. Noch mehr Brandherde oder Rauch, der durch die Lüftungen des Erdgeschosses gedrungen war? Er gab Anweisung, die Lage zu überprüfen. Dann ging er zu dem Zimmer, in dem der erste Brandmelder losgegangen war, und legte vorsichtig seine Hand auf die Tür. Die Tür war heiß.

 

Alles, was sich jetzt abspielte, war eine oft geübte Routine: Atemschutztrupp und Reservetrupp ausrüsten, Verteiler setzen, Schlauch legen. Tür einen Spalt öffnen, in die Knie gehen und Wasser Richtung Decke spritzen, um die Temperatur zu senken. Tür wieder zu, damit es durch den Sauerstoffeintritt nicht zu einem Flammeninferno kommt, Procedere so oft wiederholen, bis man sich endlich ein Bild über das Geschehen machen kann.

„Da liegt ein Mann“, sagte der erste Feuerwehrmann, als sie Tür endlich weit genug öffnen konnten, um ins Innere zu sehen.

„Verletzt?“, fragte sein jüngerer Kollege, der bei jedem Einsatz immer noch voll kindlicher Hoffnung auf ein Happy End war.

Wilhelm wusste die Antwort, schon bevor er den Puls fühlte. Der Mann war mindestens 20 Minuten in einem Zimmer voller Rauchgas gelegen. „Nein, er ist tot.“

Er starrte in ein Gesicht, das er bisher nur im Fernsehen gesehen hatte. „Scheiße, ich kenn den, das ist der Gernot Pechler.“

 

 

„Ich weiß wirklich nicht, warum du schon wieder mitkommen willst“, fragte Vera ihre Mutter leicht genervt. „Ich muss beruflich ins Parkhotel. Ich brauche O-Töne für die geplante Reportage. ‚Die letzten 24 Stunden im Leben von Gernot Pechler‘.“

„Was sind O-Töne?“, fragte Hilda.

„Na, Originaltöne, Aussagen von Zeugen, ein Statement vom Hoteldirektor, all das.“

Die Tatsache, dass der beliebte österreichische Star auf tragische Weise verstorben war, beschäftigte das Land.

Gleich zwei Tageszeitungen hatten dem Liebling der Nation eine Headline gewidmet.

 „Selbstentzündung in der Wäschekammer“ und „In Frottee in den Tod“.

Denn schuld an dem Feuer waren laut Experten die dicht gestapelten frisch gewaschenen Badetücher im Zimmer gewesen. Und die Tatsache, dass das Hotel so viele Ayurveda-Ölmassagen mit Leinöl anbot. Weil das weniger stank als das Sesamöl, das traditionell in Indien verwendet wurde.  Öl ließ sich schwer auswaschen. Ölreste blieben im Textilgewebe zurück. Und wenn die Badetücher, aus dem Trockner kommend, noch heiß zusammengelegt und in den Rollcontainern zu dichten Stapeln geschlichtet wurden, konnte sich das Öl selbst entzünden. Was für ein blöder Zufall, dass sich der berühmte Moderator ausgerechnet in dieses Zimmer gelegt hatte, um seinen Rausch auszuschlafen. „Er hatte noch die Zimmerkarte, die ich ihm gegeben habe, als er den Unfall mit der Hose hatte“, hatte Claudia Ivansitz der Polizei erzählt. Dass der berühmte Ex-Fußballer alleine und recht besoffen in das Zimmer gewankt war, hatten mehrere Augenzeugen bestätigt. Ein Fan hatte sogar ein Foto von ihm gemacht. Mit Zeitangabe am Smartphone. 21.57 Uhr. Danach waren alle beim Feuerwerk gewesen und nachher beim Dessert. Das Essen war gegen Mitternacht beendet gewesen. Vera und Hilda waren, wie alle anderen externen Gäste, wenig später darauf aufgebrochen. Kurz nachdem alle weg waren, war der Feueralarm losgegangen.

 

„Ich fahr auf jeden Fall mit, wenn du mich nicht mitnimmst, fahr ich allein. Das ist ein freies Land. Wenn ich im Parkhotel einen Kaffee trinken will, dann tu ich das auch“, sagte Hilda.

„Gut“, gab Vera nach, „aber bleib bitte im Café und stör mich nicht bei der Recherche.

„Ich störe nie“, sagte Hilda, „ich bin eine Bereicherung.“

 

Während Vera ihr Interview mit dem Hoteldirektor hatte, setzte sich Hilda ins Thermencafé und bestellte eine Schwarzwälder Kirschtorte und einen kleinen Braunen mit einem Kandisin.

„Ist die Restaurantleiterin da?“, fragte sie.

„Wieso, ist was mit der Torte nicht in Ordnung?“, fragte die junge Servierkraft.

„Nein, alles okay“, beruhigte Hilda. „Ich bin eine Freundin ihrer Mutter und muss ihr nur eine Nachricht überbringen.“

„Soll ich die Claudia anrufen, dass sie raufkommt? Sie hat heute frei und ist sicher unten im Personalhaus.“

„Nein danke“, log Hilda. „Ich hab eh ihre Handynummer.“

Sie zahlte und machte sich dann auf dem Weg zum Personalhaus.

„Ich such die Claudia“, sagte sie zu dem Gärtner, der vor dem einstöckigen Gebäude den Rasen mähte. „Nummer zwölf“, war die knappe Antwort.

Das ist der Vorteil, wenn man so alt und harmlos aussieht wie ich. Die Leute verraten einem alles, dachte Hilda.

Sie klopfte bei Nummer zwölf.

Claudia öffnete. Sie trug einen Jogginganzug und hatte die Haare zu einem Knödel hochgesteckt. Sie hatte tiefe Schatten unter den Augen. Es wirkte, als hätte sie die Nacht durchgemacht.

„Was wollen Sie?“, fragte sie schroff.

„Ich hab gesehen, wie Sie in das Zimmer gegangen sind“, sagte Hilda leise. „In das, das nachher abgebrannt ist“, fügte sie hinzu. „Als wir gegangen sind, bin ich noch mal zurück, weil ich meinen Schal vergessen habe, und da habe ich Sie reingehen sehen.“ Sie stellte den Fuß in die Tür wie beim Tatort. „Lassen Sie mich rein?“

 

Claudia wich mechanisch zurück und ließ sie eintreten. Sie wirkte wie ein Roboter. „Wollen Sie mich erpressen?“

„Nein ich will es nur verstehen. Ich glaube nicht, dass Sie böse sind. Also glaube ich, dass er ein sehr schlechter Mensch gewesen sein muss.“

Claudia sank auf die Couch des winzigen spärlich möblierten Zimmers. Sie wirkte wie eine aufblasbare Puppe, der langsam die Luft entwich.  Hilda setzte sich auf den Sessel neben den Schreibtisch und sagte lange nichts.

Dann fing sie als Erste an zu reden. „Dieser Moderator ist so schnell betrunken gewesen. Ein Hallodri wie der, der verträgt mehr. Und er war auch nicht nur normal betrunken. Der war wie ferngesteuert. Und da habe ich mich erinnert. An früher. Ich hatte auch einmal einen bösen Mann. Und als der dann krank geworden ist und Rohypnol zum Schlafen und gegen die Schmerzen verschrieben bekommen hat, da habe ich gesehen, wie ich ihn damit kontrollieren konnte. Also habe ich es getan und ihm mehr Rohypnol-Tropfen gegeben und immer mehr bis endlich Ruhe war.“ Sie machte ein Pause, bevor sie weitersprach, damit sich das Gesagte bei ihrem Gegenüber setzen konnte: „Sie haben ihm auch was in den Wein gegeben, gell, Kinderl?“ Sie nahm Claudias Hand. Diese begann lautlos zu weinen. „Magst mir erzählen, was er getan hat? Glaub einer Alten wie mir, das Reden hilft.“

 

„Es ist so schrecklich peinlich“, flüsterte Claudia. Die Tränen liefen ihr jetzt in Strömen über das Gesicht.

Hilda setzte sich neben sie und fing an, ihren Rücken zu streicheln. „Ich hab dir mein Geheimnis erzählt, also kannst du mir auch deines erzählen.“

Sie wartete, bis Claudia sich ausgeweint hatte. Sie schwieg und wartete einfach, bis die Jüngere zu reden begann. Sie wartete eine kleine Ewigkeit. Geduld war eine Stärke des Alters. Irgendwann fing Claudia an zu sprechen.

 

„Ich war so jung, 17 erst, und so verliebt in ihn. Ich hab mir jedes Match angeschaut. Jedes. Ich bin immer hinter dem Tor der gegnerischen Mannschaft gestanden und hab ihn auf mich zukommen gesehen, weil er war ja der Stürmer. Und ich hab gehofft, dass er mich bemerkt, und irgendwann hat er mich wirklich bemerkt, und ich durfte mit ihm und seinen Kollegen nach dem Match was trinken gehen. Wir waren in Wiener Neustadt, und sie haben dort in einem Hotel geschlafen, und da haben sie mich mitgenommen. Sie haben gesagt, da steigt eine Party. Ich war mit einer Freundin unterwegs, aber die wollte nicht mehr mit, also bin ich alleine mitgegangen, aber da war keine Party. Und da ist es dann passiert.“

Sie stockte.

„Hat er dich vergewaltigt?“, fragte Hilda leise.

„Schlimmer. Er hat gesagt, ich muss es mit seinen Freunden tun. Und als ich mich geweigert habe, haben die es trotzdem getan. Und er hat zugeschaut und gelacht. Und danach hat er gesagt, dass ich eine billige Flitschen bin und mich schleichen soll.“

Sie schaute auf. Jung und blass sah sie aus. Wie ein Kind.

 

„Dann war er ein böser Mann“, sagte Hilda fest. „Hast du es je jemanden erzählt?

Claudia schüttelte den Kopf. „Ich hab mich zu Tode geniert, und mein Vater hätte mich erschlagen, wenn er gehört hätte, dass ich so blöd war und mit denen mitgegangen bin.“

Claudia sah sie ängstlich an: „Werden Sie es jemandem erzählen?“

„Natürlich nicht“, sagte Hilda, „ich hab es dir ja vorher gesagt: Du kennst mein Geheimnis und ich deines. Wir haben und gegenseitig in der Hand.“

Sie machte eine Pause.

„Wie hast du eigentlich geschafft, dass das Feuer genau zu dieser Zeit ausgebrochen ist?“, fragte sie.

„Ich hab die Badetücher zusätzlich mit Leinöl angespritzt, und als Sie mich ins Zimmer gehen gesehen haben, habe ich nachgeholfen, mit einem kleinen Bunsenbrenner aus der Küche, mit dem man die Crème brûlée flambiert. Ich hab im Internet recherchiert, wie solche Selbstentzündungsbrände bei der Wäsche ablaufen können, damit ich keinen Fehler mache.“

„Das steht im Internet, gut zu wissen“, sagte Hilda.

„Gut zu wissen, wofür?“, fragte Claudia.

„Na, falls ich wieder mal an einen bösen Mann gerate.“ Hilda zwinkerte ihr verschwörerisch zu.

„Ich werde ja im Kurpark ständig von Männern angesprochen.“

 
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Martina Parker3 Comments