Zuagroast / LESEPROBE

 

Eva hatte lange überlegt, wie sie sich bei der Nachbarin für die regelmäßige Eierlieferung revanchieren könnte. Nachdem sie tagelang darüber nachgedacht hatte und ihr keine zündende Idee gekommen war, entschied sie sich für ein eingetopftes Usambaraveilchen und eine Flasche Prosecco. Damit lag sie goldrichtig. Die Nachbarin hatte bereits eine ganze Sammlung Usambaraveilchen in allen Lilaschattierungen im Stiegenhaus stehen.  

 

Eva hatte gewusst, dass die Nachbarin daheim war, weil es aus dem Schornstein des Hauses wild rauchte. Die Nachbarin heizte nicht, sie verheizte. Kartons, Altpapier, alle Werbebroschüren der Supermärkte, die der Postler täglich brachte. Verheizen, das war auf dem Land für viele die traditionelle Art der Müllbeseitigung. Manchmal nahm der Rauch, der über ihrem Haus in den Buchschachener Himmel aufstieg, seltsame Farben an, war lilablau wie die Usambaraveilchen und stank widerlich. Eva wollte gar nicht wissen, was die Nachbarin an solchen Tagen alles verheizte.

 

Paradoxerweise legten die Nachbarn, die regelmäßig Dreck in den Himmel jagten, in ihrem unmittelbaren Umfeld größten Wert auf Sauberkeit. Das kündigte schon die Türmatte an: „Füße und Pfoten bitte abtreten.“ Ein Malteser kam kläffend herbeigelaufen, als Eva läutete. Sein Fell war makellos weiß, von der Hundefrisörin gebleicht. Die Türglocke spielte „The Final Countdown“ von Europe. „Der Heinzi, mein Mann, mag das Lied so gerne“, sagte die Nachbarin erklärend: „Dabei spielen sie das eh jeden Tag im Radio. Ich mag ja lieber den Andreas Gabalier. Aber den kann der Heinzi auf den Tod nicht ausstehen. Ich glaub, der ist ein bisserl eifersüchtig auf den Andi.“

 

Eva überreichte ihre Mitbringsel. Die Nachbarin war hocherfreut. „Den Prosecco machen wir gleich auf und dann erzählst du mir, wie ihr euch eingelebt habt.“  Sie war eine kleine kräftige Person Mitte 50 mit einer Frisur, die Eva an die früheren Playmobilfiguren ihrer Tochter erinnerte. Ein dunkelbrauner Farbhelm. Dunkelbraun waren auch ihre Leggings. Farblich abgestimmt auf das beige lange T-Shirt mit dem goldbraunen Print. An den Füßen trug die Frau goldene Sandalen mit Klettverschluss und Keilabsätzen. Ein konsequenter Versuch, Bequemlichkeit mit einem individuellem Modeanspruch zu vereinen. Die Nachbarin hatte sich in der Früh geschminkt. Jetzt waren nur mehr Reste des braunroten Lippenstiftes übrig. Durch die tätowierte Lippenkontur fiel das Fehlen der Lippenfarbe noch stärker auf. Die Augenbrauen fehlten ebenfalls. Statt Härchen saßen dort dunkelbraune Striche, die rhythmisch in die Höhe wanderten, wenn die Nachbarin sprach. „Komm herein. Aber bitte putz dir die Füße ab.“ Der Malteser schnüffelte an Evas Beinen, sprang an ihr hoch und versuchte sie zu begatten. „Butzi, lass das. Pfui Butzi. Schäm dich Butzi.“

Die Nachbarin schubste Butzi mit dem Fuß weg.  Der schnappte nach dem Klettverschluss der Sandale, ergriff dann aber kläffend das Weite. Seine gebleichten Pfoten rutschten beim Laufen über den Laminatboden in Buchenoptik.  „Entschuldige bitte“, sagte sie: „Der Butzi freut sich immer so, wenn Besuch kommt.“

 

Sie bat Eva ins Wohnzimmer, das penibel aufgeräumt war. Vermutlich war alles an umherliegendem Mist zuvor verheizt worden. Der Kachelofen war noch warm. Auf dem Wohnzimmertisch lag ein gehäkeltes Spitzendeckerl. Die Nachbarin holte Korkuntersetzer, legte diese auf das Spitzendeckerl und platzierte die Sektgläser darauf.  Bleikristall. Einen Aschenbecher aus Bleikristall gab es auch, aber geraucht wurde hier nicht. Im Aschenbecher lagen die Rabattmarkerl einer Supermarktkette.  Eva blickte sich um, Einbaumöbel aus Kirsche, überall Nippes. Engel, Porzellanrosen. Ein Kalender mit Sprüchen. „Ehrlichkeit ist ein teures Geschenk, das man von billigen Menschen nicht erwarten kann,“ stand da.

 

 „Nett habt Ihr es,“ lobte Eva höflich. „Ja gell, den Einbauschrank hat uns ein Tischler aus der Oststeiermark gemacht, der arbeitet super sauber, der saugt sogar den ganzen Dreck selber weg. Mit dem kann man auch reden, wegen der Rechnung,“ sie zwinkerte Eva verschwörerisch zu. „Falls ihr mal wen in der Richtung braucht.“

„Du danke, aber der Paul hat da eh seine Kontakte.“

 „Ich wollt es nur gesagt haben.“  Die Nachbarin wirkte ein bisschen eingeschnappt.

 

Eva blickte aus dem Fenster. Auf der Konifere vor dem Wohnzimmerfenster balancierte ein Vogel. Eine Fliege kroch über die Scheibe, aber sie würde nicht mehr lange kriechen. Eine pestizidgetränkte  Klebeblume versperrte ihr den Weg. Orange Vorhänge und gelbe Gardinen schufen einen dramatisch farbstarken Rahmen für ihren schleichenden Tod.

 

Die Nachbarin öffnete eine Schachtel mit Knabbergebäck. Party-Mix vom Diskonter.

 „Jetzt erzähl einmal wie es dir geht, ich bin ja froh, dass wir jetzt endlich wieder Nachbarn haben. Schon wegen den Einbrechern. Man fühlt sich einfach sicherer. Es steht ja soviel leer im Dorf. Die Jungen wollen nichts übernehmen und ziehen weg und dann verfällt alles. Oder sie streiten sich ewig übers Erbe. Es will ja keiner mehr was arbeiten. Hast Du gehört, dass der Michelbauer oben an der Kreuzung seinen Buben enterbt hat. Weil der ist spielsüchtig. Computerpoker. Da würde nur alles den Bach runtergehen. Da ist es besser, er lasst den Buben durch die Finger schauen und verkauft den Arkadenhof teurer an so einen depperten Zuagroasten.“ Sie schlug sich die Hand vor den Mund: „Euch habe ich natürlich nicht gemeint, ich rede von den anderen Wienern.“

 

Eine betretene Pause entstand. Die Nachbarin griff zum Glas. 

„Schön, dass wir endlich einmal auf unsere Nachbarschaft anstoßen können, nur so übern Gartenzaun reden, das ist ja nichts, da fühlt man sich ja noch wie in der Corona Zeit,“ sie prostete Eva zu: „Ich seh´ dich immer so fleißig im Garten, hast neue Beete angelegt, gell.“

 

Eva nickte. „Wir haben uns Inkaerde liefern lassen. Die soll ja für immer fruchtbar...“´

„So ein Blödsinn“, unterbrach sie die Nachbarin rüde: „Mit dem biologischen Zeugs holst dir nur Unkraut in den Garten.“ Sie hob spielerisch drohend den Finger:  „Wehe ihr schleppt mir das Ragweed ein. Aber ich verrat dir was. Zum Glück hat der Heinzi noch eine Quelle fürs Glyphosat. Falls ihr mal was braucht...“

 

„Du, ich wäre da vorsichtig, Glyphosat ist krebserregend,“ sagte Eva.

 

„So ein Blödsinn, von einem Pflanzenschutzmittel kriegst keinen Krebs. Der Krebs, der kommt von der Psyche. Die, die vor euch in dem Haus gewohnt haben.... da hat die Frau einen Unterleibskrebs gekriegt. Das war nur psychisch, wegen der Scheidung“, sie schüttelte bedauernd den Kopf: „Die Leute lassen sich heute viel zu leicht scheiden. Eine gute Ehe, das ist harte Arbeit. Das musst du wollen. Wenn der Heinzi und ich uns nicht so bemühen täten, wären wir schon lang nicht mehr zusammen. Aber die Leute heute denken ja nur an ihr Vergnügen. Lauter Egoisten. Keine Moral.“

 

Die Nachbarin blickte bedeutungsvoll in ihr Kristallglas, dann schaute sie Eva prüfend in die Augen.

„Ich verrat dir jetzt ein Geheimnis, kennst du die Gerlinde drei Häuser unter dir?“

 

Eva schüttelte den Kopf.

 

„Ich glaube, die ist eine Geheimprostituierte. Jeden Nachmittag schickt die ihre Kinder auf die Straße. Weil die Mama ist müde, die Mama muss sich hinlegen, die Mama muss sich ausrasten. Und dabei sind fremde Autos in der Straße geparkt.“

 

Die Nachbarin senkte verschwörerisch die Stimme:

 

„Ich bin sicher, die hat Männerbesuch. So was von sicher bin ich mir. Aber von mir hast du das nicht. Gell. Ob das nicht der Callboy aus Unterwart ist. Das ist ein Araber, oder ein Albanier, oder ein Afghane, so ein Murl von da unten halt. Der macht so kleine Reparaturen und Gartenarbeiten. Aber jeder weiß, was los ist. Das kommt davon, wenn die Männer die ganze Woche in Wien sind. Früher war in Oberwart in den Diskos am Donnerstag Damentag. Da ist man mit der Freundin hin und dann haben die Frauen miteinander getanzt und was getrunken und dann sind sie wieder heim. Ganz anständig war das. Aber heute haben wir orientalische Callboys in Unterwart. Die Welt steht nicht mehr lang.“

 

Eva stand der Mund offen. Ein Partycracker mit Sesam klebte unangenehm an ihrem Gaumen. Sie spüle ihn mit dem halbsüßen Prosecco hinunter, obwohl sie langsam Kopfweh davon bekam. „Kann ich bitte ein Glas Wasser haben?“ „Klar, wir haben einen Wasserfilter, da bleibt der ganze Kalk und der Dreck aus den Rohren hängen, man weiß ja nie, was da im Leitungswasser drinnen ist. Der Heinzi war mal Wasserwart, das willst du gar nicht wissen, was da so in den Rohren schwimmt.“

 

Eva schwirrte schon der Kopf. Aber der Redeschwall der Nachbarin nahm kein Ende. Sie hechelte einen Dorfbewohner nach dem anderen durch. Geburt, Hochzeit, Scheidung, wer gestorben war, bald sterben würde, oder zumindest ins Altersheim abgeschoben wurde. Zur größten Enttäuschung der Nachbarin kannte Eva allerdings die Betroffenen nicht. Das machte das Ausrichten nur halb so lustig.

 

„Ja habt ihr denn noch gar niemanden kennengelernt?“, fragte sie schließlich frustriert.

„Doch, kennst du die Zieserl? Die waren gestern bei uns zu Besuch.“

„Soso die Zieserl.“

„Ist was mit denen?“

„Na die Zieserl ist keine Gute.“

„Wie meinst Du das?“

„Ich mein, dass die ein fleißiges Wischperl hat.“

“Ein was?”

„Na, das ist eine mit einer weißen Leber.“

Eva stand noch immer auf der Leitung.

„Na die ist eine Flitschn. Du da würde ich aufpassen! Die Zieserl hat keinen Genierer. Die krallt sich deinen Mann, so schnell kannst du nicht schauen.“

„Übrigens, wenn man bei euch den Weg weiter Richtung Wald fährt, gibt es da eine Stelle, da ist alles voll mit Gummis. Die fahren da alle in den Wald zum Pudern. Magst du vielleicht einen Eierlikör? Ich habe noch einen von Ostern über. Die Hendln legen grad wie verrückt.“

 

Eva verneinte. Ihr wurde schlecht. Sie wusste nicht, ob von dem bösen Getratsche, oder von dem vielen Alkohol, oder von dem giftigen Rauch, der vermutlich immer noch wie eine Glocke über dem Haus schwebte.

„Ich glaube, ich muss jetzt gehen, die neue Putzfrau kommt heute zum ersten Mal und der muss ich alles erklären.“

„Ich hoffe, es ist keine Ungarin, die putzen alle so langsam,“ sagte die Nachbarin.

Eva schaute auf die Uhr. Die ungarische Putzfrau würde erst in einer halben Stunde kommen. Aber sie hatte Lust auf eine Dusche. Obwohl sie die letzte Stunde in so einem blitzsauberen Haus gewesen war, fühlte sie sich auf einmal richtig dreckig.

 

Kaum hatte Eva das Haus verlassen, griff die Nachbarin zum Telefon. „Gerlinde, hallo, ich bin´s. Bist allein? Wie, nein. Dann schick die Kinder halt raus, wenn die so einen Lärm machen. Ich muss dir was erzählen. Du, die Zuagroaste war grad bei mir. Du wirst es nicht glauben, die Zieserl war auch schon bei denen. Ich fress‘ einen Besen, wenn die nicht schon längst was mit dem Architekten laufen hat. Der ist ja genau ihr Typ. Erinnerst dich noch an den Fleischhacker, mit dem die Zieserl vorher das Pantscherl gehabt hat. Der hat genauso ausgeschaut. Der gleiche Typ. So ähnlich wie der Hillinger, ja.

Wie die sonst ist, die Eva? Ja eh nett. Ein bisserl naiv. Die kauft auch diese sauteure Unkrauterde. Die Blöden sterben halt nicht aus. Und wenn sie aussterben, ziehen neue her. Du Gerlinde ich muss aufhören, bei mir läutet es. Mein Gärtner ist da.“

 

„The Final Countdown“ ertönte. Die Nachbarin öffnete die Tür. Der Mann war Anfang zwanzig und hätte er nicht diesen dunklen Dreitagebart gehabt, hätte man ihn noch jünger geschätzt. Seine Gesichtszüge waren fein, mit hohen Wangenknochen und schräg geschnittenen Augen, dunkelbraun wie Schokolinsen. Sein dichtes schwarzes Haar hatte er mit Gel gebändigt. Er war nur einen knappen Kopf größer als die Nachbarin. Und wirkte auf eine anziehende Art feminin und maskulin zugleich. Er trug Jeans, T-Shirt und Turnschuhe. Seine Kleidung war alt, aber gepflegt, genauso wie das Fahrrad, das er bei sich hatte.

 

Die Nachbarin ging in die Garage und kam mit einer Unkrautspritze zurück. „Du heute Terrassenfugen sauber machen, verstehen? Aber aufpassen, nix einatmen, ist giftig. Und danach reinkommen, duschen. Ich auf dich warten.“