Hotel Rock ´n´ Roll / LESEPROBE

 
 

… vor rund zwei Jahren recherchierte ich für meinen Krimi im Hotel The Guesthouse zum Thema Brandschutztüren. Mein Gesprächspartner war Hotelier Manfred Stallmajer.

Er erzählte beiläufig, wie es damals war, als Johnny Depp bei ihm übernachtete und mehrmals den Feueralarm auslöste. Von Johnny Depp, kamen wir auf David Bowie - der rauchte Kette und aß gerne Schnitzel. Wir sprachen über Hugh Grant - saß gerne an der Rezeption. Und Robbie Williams - der ließ sich die Hotelbar backstage nachbauen. Irgendwann wurden die Anekdoten immer bunter und wilder und ich sagte: “Manfred, Du musst ein Buch schreiben!” Er antwortete: “Das haben schon ein paar Leute gesagt, aber ich kann nicht schreiben.” Ich erwiderte: “Dann schreib ich es mit dir.” Und das haben wir dann getan.

So entstand Hotel Rock ´n´ Roll.

Ein Erinnerungstagebuch an die 80er, 90er und 00er Jahre. Ein Stück österreichische Musikgeschichte. Ein Buch zum Schmunzeln in das man kopfüber eintauchen und in Nostalgie baden kann.

Mit Helen Zellweger von Schultz & Schirm haben wir eine grandiose Verlegerin gefunden, die mit uns dieses Buchprojekt realisiert hat. Freut Euch auf die tollen Layouts und die grandiosen Bilder.

Ab Oktober 2022 wird Hotel Rock ´n Roll überall im Buchhandel erhältlich sein.

Hier ist die erste Leseprobe exklusiv für Euch

Manfred erinnert sich an seine Anfänge

Hotel Rock ´n´ Roll

Kapitel 1

Der Mann mit dem Schal ist da

Menschen, die die 80er und frühen 90er nicht miterlebt haben, assoziieren diese Ära mit nostalgiegetränkten farbenfrohen Bildern. Sie denken, die Zeit sei so bunt gewesen wie die Quadrate des Zauberwürfels, den wir damals einfach gegen die Wand warfen, auseinandernahmen und neu zusammensetzten, wenn wir es nicht schafften, die Farbfelder auf den jeweiligen Seiten durch logisches Denken und beständiges Drehen harmonisch zu sortieren.

Rückblenden und Revivals färben unsere Erinnerungen bunt. Bilder von neonfarbenen Leggings tauchen auf, von knallig blauen und grünen Punkfrisuren und den bunten Geistern von PACMAN im Computerlabyrinth. Das alles gab es natürlich. Tatsächlich waren die 80er-Jahre in Wien aber vornehmlich grau.

Die jungen Menschen, die von den Zügen und Bussen in der Bundeshauptstadt ausgespuckt wurden, sahen graue Straßen und graue Fassaden. Sie fanden sich in farblosen, billigen Substandard-Wohnungen wieder, wo sich das Klo auf dem Gang befand und man sein eigenes Klopapier mitnehmen musste, wenn man mal musste. Alternativ konnte man sich den Hintern mit dem akkurat geviertelten Zeitungspapier der „Kronen Zeitung“ abwischen, das auf einem Schnürl neben dem zugigen, immer offenen Klofenster hing.

Normalsterbliche hatten in Wien Vierteltelefone. Wenn die Nachbarn zu lange die Leitung blockierten, versuchten wir, sie mit Stricknadel-Gestocher in der Telefonsteckdose aus der Leitung zu werfen.

Wien war einmal eine Weltstadt gewesen, aber zu diesem Zeitpunkt schlief es, war alles andere als die urbane, pulsierende Stadt mit der hohen Lebensqualität, die es einmal gewesen war und später wieder werden sollte.

Die Ladenöffnungszeiten waren so kurz wie das U-Bahn-Netz. Der vielbesungene Wein beim Heurigen war bis zur Glykol-Affäre 1985 tatsächlich ein Skandal. Die steirische Austropop-Gruppe STS brachte die enttäuschten Erwartungen vieler Zugezogener auf den Punkt: „Laungsom kriag i wirklich g’nua, i frog mi, wos i do tua. […] I brauch ka große Wöd, i wü ham nach Fürstenföld.“

Ich kam aus Fürstenfeld und wollte trotzdem in Wien bleiben. Denn bei aller Grauheit fühlte sich das bieder-miefige Wien nach Aufbruch an. Und ehrlich gesagt, mehr als in Fürstenfeld spielte sich hier allemal ab.

Untertags stieß man auf der Kärntner Straße abenteuerliche Figuren wie das Stadtoriginal Waluliso, das in einer weißen Toga mit einem Apfel in der Hand für den Frieden und eine heile Umwelt demonstrierte. Vor dem Abgang zur öffentlichen Toilette am Graben stand immer der Pepi mit seiner Drehorgel und einer Meerkatze auf der Schulter. Nachts traf man im U4, in der Gräfin am Naschmarkt, im alten Café Drechsler oder im Oswald & Kalb nicht minder illustre Gestalten. Und auch wenn die ganze Welt Wien damals allenfalls als die Heimat von Niki Lauda oder als die Stadt von Sisi, den Lipizzanern und dem Wiener Walzer kannte, spürten wir: Da kommt noch was.

Ich war 19, als ich nach Wien zog. Schon während der Schulzeit hatte ich auf Bällen und Zeltfesten in der Steiermark gekellnert, und die Arbeit in der Gastronomie gefiel mir. Mit der Matura in der Tasche absolvierte ich zunächst das Bundesheer und musste dann acht Monate totschlagen, bevor ich meinen nächsten Plan umsetzen konnte: Ich wollte die Hotelfachschule in Klessheim oder Bad Gleichenberg absolvieren. Bis zum Beginn des neuen Jahrgangs brauchte ich einen Job und fand auch schnell einen, der mir passend erschien: Ich heuerte als Nacht-Rezeptionist im SAS Palais Hotel an.

Die Luxus-Hotellerie in Wien war damals ziemlich überschaubar. Es gab das Sacher, das Imperial, das Bristol, das Intercontinental und das Hilton. Dazu hatten sich im September 1985 das Marriott und das SAS Palais Hotel gesellt. Letzteres sollte mein Schicksal maßgeblich bestimmen. Das traditionelle Ringstraßenpalais, in dem es sich befand, stammte wie die meisten Gebäude am Ring aus der Gründerzeit. Das Hotel selbst war, als ich dort anfing, gerade einmal ein Jahr alt, seine Optik dennoch traditionell und prunkvoll, hatte man doch beim Umbau alles getan, um den ursprünglichen Charme des Gebäudes zu erhalten. Die Fassaden, die Prunkräume mit ihren Deckenfresken und die Eingangshalle mit der Freitreppe wurden in ihrem ursprünglichen Zustand wiederhergestellt.

Der General Manager der SAS International für Österreich war ein Schweizer namens Bruno Schöpfer. Rückblickend würde ich ihn als meinen Mentor bezeichnen. Zu diesem Zeitpunkt war er einfach ein Chef, der nett genug war, mir als ungelernter Kraft einen Übergangsjob zu geben.

Die meisten Menschen denken, ein Nacht-Rezeptionist habe nichts anderes zu tun, als Schlüssel auszuhändigen und betrunkenen Heimkehrern bei der Suche nach ihrem Zimmer behilflich zu sein. Die Betreuung der Gäste an der Rezeption und an der Hotelbar gehörte natürlich zu meinem Job. Daneben verbrachte ich aber auch viel Zeit mit Rechnen und Listenführen.

Nacht-Rezeptionisten mussten nämlich, bevor es computergesteuerte Abrechnungssysteme gab, nachts „den Stand“ machen. Das bedeutet, ich hatte die Tageslosungen abzurechnen. Mein Dienst begann um 23 Uhr und endete um sieben Uhr früh. Die Lobby-Bar schloss offiziell um drei Uhr. Somit hatte ich vier Stunden, um auch dafür die Abrechnung fertigzumachen. Theoretisch. Denn die Sperrstunde war damals ein dehnbarer Begriff, vor allem, wenn einflussreiche Gäste in unserer Hotelbar, der Makart Bar, waren.

Einer dieser Gäste war ein berühmter Doyen der Wiener Unterwelt. Heinz Bachmeier hatte wegen seiner kupferroten Haare bald den Spitznamen „da Rode“ (wienerisch für „der Rote“) verpasst bekommen. Von dort war es nicht mehr weit zum „Roten Heinzi“.

Der Rotlichtkönig besaß nicht nur den Queens Club am Wiener Alsergrund. Es heißt, er habe auch das berüchtigte Stoß-Spiel kontrolliert – ein Kartenspiel, das so manche Existenz in der Hauptstadt zerstörte. Reiche Industrielle wurden dabei wie goldene Gänse gerupft und verspielten in wenigen Minuten alles, wofür sie ein Leben lang gearbeitet hatten.

Obwohl der Rote Heinzi stets mit einem Fuß im Kriminal stand – im Polizeifunk hatte er sogar einen eigenen Codenamen, „der Indianer“ –, war er bestens in die Wiener Society integriert. Zu seinen Festen kamen viele, die in Adel und Politik, Journalismus und Kunst Rang und Namen hatte, sogar Anwälte sah man. Denn Bachmaier sah sich selbst als Kaufmann, Kunsthändler und Mäzen.

Einer der Künstler, die der Rote Heinzi bei seinen Besuchen in unserer Makart Bar damals oft im Schlepptau hatte, war ein junger Musiker. Nach ein paar Flaschen Champagner fing der Typ gern an zu singen. Anfangs haben die anderen Gäste ihn nicht erkannt und sich deshalb über die Singerei beschwert. Später, als sich herumsprach, wer da nachts in der Hotelbar für Unterhaltung sorgte, haben sie applaudiert.

Zu mir war der Musiker immer nett, vor allem, als er erkannte, dass er meine Arbeit erschwerte, wenn er die Sperrstunde überzog. Er ging zwar deswegen immer noch nicht früher heim, aber er begann, sich für die Umstände zu entschuldigen, die er mir bereitete.

„Das ist von dem da drüben“, flüsterte mir der Barkellner zu und schob eine Flasche Sekt über das Pult der Rezeption. Wenn ich aufsah, um mich zu bedanken, spielte sich immer die gleiche Szene ab:

Der Sänger blickte mich an und machte eine übertriebene Verbeugung, bei der er theatralisch seinen Arm in meine Richtung ausstreckte. Um den Arm hatte er dabei immer einen weißen Seidenschal geschlungen, der in diesen Momenten aussah wie das weiße Serviertuch eines Kellners.

Der Mann hieß Johann Hölzel, aber er nannte sich Falco.

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